Manchmal beginnt das neue Leben buchstäblich im Straßengraben – mit einem verbogenen Fahrrad und ein paar blauen Flecken. So war’s zumindest bei Agnes Flügel. Ein rasanter Autofahrer hatte sie beim Überholen auf einer schmalen schleswig-holsteinischen Landstraße abgedrängt und sie im wahrsten Sinne des Wortes in ihr neues Leben geschubst. „Dat deit mi leed, mien Deern“, rief der Autofahrer auf Plattdeutsch aus – was so viel bedeutet wie: „Das tut mir leid, mein Mädchen.“ Er half ihr aus dem Graben, beruhigte ihre Nerven. Und als er ihr am anderen Tag das reparierte Rad vor die Tür stellte, hatte er links und rechts an den Lenker je ein Glas Honig gehängt. Als Medizin quasi, als Wiedergutmachung für den gehörigen Schreck!
MANN AM STEUER …
Bernie, der Mann am Steuer, war Imker, ein älterer Herr. Neugierig geworden durch den Honig, folgte ihm Agnes Flügel zu seinen Bienen. Seitdem hat sie nicht wieder von diesen kleinen summenden Insekten losgelassen. „Meine Bienen“, sagt sie schmunzelnd, „sind mein Leben.“
Doch das war keineswegs immer so! Sie hatte an der Uni Lüneburg Kulturwissenschaften studiert, in Hamburg machte sie anschließend in der Medienbranche als Online- Redakteurin Karriere. Ihr Leben war voller Hektik. Sie sah Kollegen, die sich mit Burn-out-Syndrom, Tinnitus und anderen Stress-Symptomen von Arztpraxis zu Arztpraxis schleppten. Hamburg … bei aller Faszination – der Job in der Metropole machte sie müde und manchmal auch mürbe. Schließlich mietete sie sich ein Häuschen an der Ostsee, verwandelte es mit ihrem Mann Jon in ein gemuütliches Wochenenddomizil. „Spätestens Freitagabend waren wir auf der Autobahn …“ Sie düsten Richtung Ruhe, Abgeschiedenheit. „Ich bin gern auf dem Land“, sagt die Honigfrau, „da fühle ich mich geerdet. Ich mag im Garten rumbuddeln, Beete anlegen.“ Der Schubser in den Graben, der erste Kontakt mit Bernie und seinen Bienen waren wie ein Wink des Himmels. Und dann?
SCHUBS IN EIN NEUES LEBEN
„Als die Bienen in mein Leben flogen, wurde alles anders. Ich war neugierig. Seit Kindertagen bin ich voller Leidenschaft für alles, was kreucht und fleucht, und eng mit der Natur verbunden.“ Sie
denkt an ihre ersten Schritte: „Ich half Bernie bei der Arbeit, und dabei erfuhr ich alles, was man für das Halten von Bienenvölkern und Honigmachen wissen musste.“
Mit jedem Tag kam Agnes Flügel den Bienen näher – und am Ende, das sich als Neuanfang entpuppen sollte, fasste sie einen großen Entschluss: Sie kündigte in Hamburg, gab ihre Stadtwohnung auf. Und
während ihre Freunde kopfschüttelnd dem Umzugswagen hinterher winkten, zog sie mit ihrem Mann in eine andere Welt. Eine Welt mit gold-roten Sonnenuntergängen, wogenden Weizenfeldern und
stockfinsteren Nächten. Eine Landwelt, in der man nicht bis 22 Uhr einkaufen kann, in der man nicht mal schnell ins Kino geht. Hier lernte Agnes Flügel etwas anderes kennen – Bemerkenswertes z. B.
über den sprichwörtlichen Fleiß der Biene: Um genügend Nektar für ein Kilo Honig zu sammeln, muss diese etwa 60000-mal aus ihrem Stock fliegen. Dabei besucht sie zwischen drei und fünf Millionen
Blüten und legt eine Strecke zurück, die einer dreimaligen Erdumrundung entspricht. Und: Mit ihrer Bestäubung sorgen Bienen für den Fortbestand von 80 Prozent unserer heimischen Blumen,
Kräuter und Früchte!
Oder dies: Dass Honig lecker ist, weiß jedes Kind – allerdings weiß (noch) nicht jedes Kind, wie köstlich der Flügelchen-Honig schmeckt! Wie gesund er zusätzlich ist, das wissen ebenfalls noch viel zu wenig Menschen.
Schier unüberschaubar ist die Anzahl der Honig-Wirkstoffe und Anwendungsgebiete. Sie wurden schon in den alten spirituellen Schriften der Bibel ud des
Korans beschrieben. Honig ist nicht nur wunderbare Süße und gesunder Zuckerersatz, sondern er besitzt einen Fächer von Enzymen, Vitaminen, Mineralstoffen, Säuren, Eiweißsubstanzen, Botenstoffen,
Gerbstoffen und eine ganze Zahl von antibakteriellen Wirksubstanzen.
Honig hilft u. a. bei Husten, Heiserkeit, Kater, Heuschnupfen, Einschlafstörungen, Stoffwechselproblemen, Magenübersäuerung, rauen Lippen,
trockenen Haaren. Das Bienengift liefert u.a. auch den Grundstoff für verschiedene Rheumamedikamente.
ZIMT, MANDEL, LEBKUCHENGEWÜRZ – DIE AROMEN DES WINTERS
Agnes Flügel: „Immer mehr Therapeuten nutzen Honig für Massagen – für eine tief greifende Reinigung von Körper und Seele.“
Ist das Leben als Bienenkönigin also ein Honigschlecken? Auf diese Frage finden sich in ihrem Buch „Die Honigfrau“ viele Antworten. Es ist nicht nur ein ermutigender Appell, etwas zu riskieren, um
endlich das zu tun, wofür man wirklich brennt. Es vermittelt zugleich viel Wissenswertes rund um die Honigproduktion und zeigt, wie wichtig es ist, die von Umweltzerstörung und industrieller
Landwirtschaft bedrohten Bienen zu schützen. „Ich bin glücklich hier“, sagt Agnes Flügel, „ich habe meine Freude an den Bienen, und ich verdiene mein Geld damit.“ Sie erinnert sich an die ersten
Phasen: „Meine ersten Gläser habe ich ja noch verschenkt. An Freunde, an ehemalige Kollegen in Hamburg. Die Resonanz war so positiv, dass aus dem Hobby Stück für Stück ein richtiges kleines
Unternehmen geworden ist, meine Honigmanufaktur ,Flügelchen‘…“ 70 Kilo Honig waren es anfangs. Mittlerweile hat sie 40 Völker mit (im Sommer) pro Stock etwa 80000 Bienen. Und die
Produktionsmenge des Honigs liegt heute im vierstelligen Kilobereich. Mehr als 50 Verkaufsstellen in verschiedenen Bundesländern führen Flügelchen-Produkte, online kann auch bestellt werden: „Neben
den klassischen Sorten wie Raps- und Sommerblütenhonig erfreuen sich meine Aromahonige (wie z. B. Espresso, Zimt, Vanille, Zitrone, Minze, geröstete Mandel und Haselnuss) großer Beliebtheit.“
Wir sitzen in dem alten Reetdachhaus, wunderschön gelegen zwischen Schlei und Eckernförder Bucht, schauen auf das Feld, das sich in der warmen Jahreszeit in ein riesiges, saftig gelbes Rapsfeld verwandelt. Wir sitzen zwar zu zweit am Tisch, doch Bernie ist mittendrin, wenngleich er vor zweieinhalb Jahren starb.
„In mir wird Bernie immer weiterleben“, sagt Agnes Flügel, „er war mein Schicksal, meine Fügung, mein Glück. Er hat mir alles gesagt, was ich heute über Bienen weiß. Er hat mich an die
sprichwörtliche Hand genommen … und ich spüre, dass er sie immer noch hält. Seine Lebensweisheiten, seine Gelassenheit: Durch ihn bin ich in eine andere Welt eingetaucht.Von ihm habe ich ja
auch die Bienen!“ Er hat ihr seine Völker hinterlassen. „Sie vermehren sich so stark, dass ich heute 40 Stöcke habe.“
Gibt es eigentlich so etwas wie eine Lieblingsbiene? „Klar“, sie lacht herzhaft, „die ,Biene Maja‘ … im Ernst: Ich kann die einzelnen Bienen nicht voneinander unterscheiden – wohl aber die Völker!
Sie unterscheiden sich in ihrem Wesen.
Die einen sind ruhig, andere temperamentvoll und dann gibt es die aggressiven. Ich nenne sie die Stecher. Um sie muss man wirklich einen Bogen machen, besonders dann, wenn sie meinen, ihre Vorräte
verteidigen zu müssen.“
Sind Bienen eigentlich auch so etwas wie Haustierchen, die man nicht allein lassen sollte? „Ja" sagt sie, "so muss man sich das vorstellen. Mein Mann und ich machen z. B. nur im Januar und Februar
Urlaub. Dann haben die Bienen ihre Ruhephase, wärmen sich gegenseitig in ihrem Stock. Dann ist es, als hätten sie ein Schild draußen rangehängt: Bitte nicht stören, wir schlafen.“
Infos unter www.fluegelchen-honig.de
(Text: HHReichelt, Fotos: Silke Goes)
BUCHTIPP
Wie Agnes Flügel ihren Lebenstraum verwirklicht hat, können Sie in ihrem Buch nachlesen: „DIE HONIGFRAU – wie ich meinen Träumen Flügel verlieh“
ISBN 978-3453280281, Ludwig Buchverlag,
19.99 Euro, www.die-honigfrau.de
Natürlich hat Agnes Flügel immer Apis mellifica in der Tasche – die homöopathische Arznei, die aus Bienen gewonnen wird. Wenn sie zu ihren Bienen geht und auch, wenn sie Besuchern die Bienenstöcke
zeigt, ist das Mittel unverzichtbar, um die Folgen eventueller Insektenstiche sofort zu lindern. Apis D12 hilft, dass die wässrigen Schwellungen und die
stechenden Schmerzen nach kurzer Zeit verschwinden.
Die Honigfrau ist schon seit vielen Jahren eine Anhängerin von Hahnemanns
Medizin. In ihrem Bücherregal steht Lektüre über die Homöopathie – ansonsten hat sie für ihre Globuli gleich mehrere Plätze im Haus eingerichtet. Einige hat sie in der Küche aufbewahrt, falls sie
sich schneidet, andere stehen griffbereit im Bienenraum. „Außerdem“, so sagt sie, „habe ich immer Arnica in meiner Handtasche. Und wir haben unsere homöopathische Reiseapotheke grundsätzlich im
Urlaub dabei. Nicht nur ich, sondern auch mein Mann nimmt nur sehr, sehr ungern starke Medikamente.“