Kein Storch in Sicht

von Katrin ReicheltProf. Dr. Ingrid Gerhard, Expertin für unerfüllten Kinderwunsch

Vor nicht einmal einem halben Jahrhundert hatten junge Paare zu Beginn ihrer Liebe nur eine Sorge: aus Versehen schwanger zu werden. Heute ist es umgekehrt. Nach langem, vergeblichem Sehnen und Hoffen auf ein Baby sind die Sprechstunden für unerfüllten Kinderwunsch voller als je zuvor. Empfängnis wird zunehmend zum Problem. Es vergehen oft Jahre, bis eine Schwangerschaft überhaupt entsteht, und oft scheint die ICSI-Methode im Rahmen einer künstlichen Befruchtung die letzte Rettung zu sein. Der Grund dafür sind keineswegs nur die insgesamt späteren Schwangerschaften. Die Ursachen liegen vielmehr in einer Vergangenheit, die zunächst wie ein großer fortschrittlicher Schritt in die Zukunft aussah.

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GENERATION PLASTIK: Die scheinbaren zivilisatorischen Errungenschaften der 60er und 70er Jahre – Kunststoffe und Plastik in jeder Form und Farbe – haben hinter den Kulissen zunächst unbemerkt eine stille Katastrophe ausgelöst.

  • PCB, Schwermetalle und Weichmacher (sog. Phthalate) docken an die Hormonrezeptoren von Mann und Frau an und sorgen dafür, dass die Zelle nun nicht mehr weiß, was ihre Aufgabe ist.
  • Samenzellen drehen sich z. B. als Folge im Kreis und sterben nach kurzer Zeit ab.
  • Die Weichen für die Unfruchtbarkeit werden für den Fötus oft schon im Mutterleib gestellt, wenn die Schwangere mit diesen Umweltgiften in Berührung kommt – was nahezu unvermeidlich ist.
  • Für die Hormonstörungen sind Dinge des täglichen Lebens verantwortlich: Duschvorhänge, Brotdosen, Plastikflaschen und -tüten, Bodenbeläge und Tapeten, aufblasbare Planschbecken, Schwimmringe oder Flip-Flops – all die Dinge die durch Weichmacher geschmeidig gehalten werden.
  • Für den Verkauf weicher Kinderspielzeuge gibt es erst seit 2005 striktere Deklarationsregeln – und auch nur bis zum 3. Lebensjahr. Die darin enthaltenen Phthalate gelangen über den Speichel direkt in die Blutbahn, wenn ein Kind ein solches Spielzug in den Mund steckt.
  • Manche Kindersandalen oder Sandkasten-Spielzeuge sind so mit Weichmachern belastet, dass eine Stunde Hautkontakt dem Rauchen von 5000 Zigaretten an einem einzigen Tag entspricht.
  • In der EU ist ein Kampf darum entbrannt, die zulässigen Höchstgrenzen nach oben hin zu korrigieren, was Kinder wieder mehr gefährden würde.

Prof. Dr. Ingrid Gerhard, eine der führenden Expertinnen Deutschlands für unerfüllten Kinderwunsch, hat im Laufe ihres Lebens über 120.000 Frauen durch diese Zeit begleitet. Sie ist Verfechterin der Naturheilkunde und der Lebensstilveränderung, bevor ein Paar zu großen hormonellen Interventionen greift. Ihr Fazit: "Damit kann man viel erreichen. Wenn die organischen Ursachen der Unfruchtbarkeit unklar sind, sind die Ergebnisse gegenüber einen Hormontherapie gleich gut – nur ohne die ansonsten beträchtlichen Nebenwirkungen. Wenn die Frau gesund ist, die Samenbefunde des Mannes jedoch schlecht, kann man z. B. mit Akupunktur, Homöopathie, Pflanzenheilkunde und vielen anderen maßgschneiderten Maßnahmen Verbesserungen erzielen."

Im neuen Buch von Fernsehmoderatorin Dr. med. Franziska Rubin (s. u.) beschreibt sie neben den aktuellsten medizinischen Fakten ausführlich, welches der Naturheilverfahren welche Situation im einzelnen verbessern kann und wie Homöopathie im Vergleich zu hormoneller Stimulation abschneidet.

Ein gesellschaftliches Stigma durchbrechen

Auf die Dresdener Steinzeitrede von Sibylle Lewitscharoff, in der diese Reproduktionsmedizin für abartig und Retortenkinder zu Halbwesen erklärte, antwortete Franziska Rubin voller Zorn, den sie vermutlich mit Zigtausenden von betroffenen Eltern teilt:

"Nach der Dresdener Rede bleibt mir als junger Mutter von wunderbaren Kindern, die ich ohne den Segen der Reproduktionsmedizin vermutlich nie lachen hören würde, vor Wut und Entsetzen der Mund offen stehen. Meine Oma pflegte in solchen Situationen zu sagen: 'Die sollte sich was schämen', aber mich gruselt es.
Statt Offenheit zu fördern, mit einem Tabuthema aufzuräumen und junge Eltern zu motivieren, die vielen Möglichkeiten zu nutzen, damit statt Gram vielleicht ein kleines Wunder, ein Kind entsteht, schafft sie neue Ressentiments.
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass auch junge Paare Probleme mit dem Kinder kriegen haben können, wie andere Zahnweh oder Ischias,  leben wir in einer Welt, in der Kinder immer noch einen ernsthaften Einschnitt in die Karriere einer Frau bedeuten. Deshalb entscheiden sich insbesondere so viele Akademiker gegen Kinder. Wer studiert hat und seine Berufung im Job gefunden hat, ist nicht mehr 25. Und ab hier geht's schon bergab mit der Fertilität. Wir, unsere Gesellschaft haben die Bedingungen geschaffen, die viele Frauen zu sogenannten alten Müttern machen und jetzt sollen wir uns nicht helfen lassen?
Es gibt vielfältige Wege der Kinderwunschtherapie, alternativ, mit Achtsamkeit oder ganz medizinisch. Oder alles zusammen. Egal, das wenigste ist wirklich nachgeholfen und das meiste macht dann doch die Natur. Aber dieses wenige braucht es manchmal und es ist nichts verwerfliches, sich helfen zu lassen, sondern wunderbar.
Sie traue sich selbst nicht über den Weg, sagt sie. Das kann ich verstehen. Sollte sie jemals stürzen auf ihrem Weg und sich den Oberschenkelhals brechen, braucht sie ja dann auch kein "verwerfliches Novum der Geschichte", also zum Beispiel eine moderne Kurzschaftprothese aus Keramik. Da reicht dann hoffentlich auch eine Vernagelung von außen, wie vor 50 Jahren? 'Man wird ja wohl noch sagen können, was man denkt',  fordert Sibylle Lewitscharoff. Nein, darf man nicht, wenn es so menschenverachtend ist!"

Franziska Rubin

DIE BETROFFENE

Unerfüllter Kinderwunsch und der Wettlauf gegen die zahllosen Faktoren, die eine Empfängnis vereiteln: Ein neues weltweites Tabu, ähnlich den Schönheitsoperationen. Hinter dem Schweigen steckt oft ein Schamgefühl, das eigentlich nicht nötig sein müsste. Das Anliegen von Dr. Franziska Rubin ist es, die Kinderwunschtherapie salonfähig zu machen, sich als Prominente zu diesem Thema zu bekennen und von ihren Erfahrungen zu berichten. Dabei spielt die sanftre Medizin, wie immer in ihrem Leben, eine zentrale Rolle. Sie hat fünf Jahre gebraucht, bis ihre Zwillinge zur Welt kamen. Und dann passierte das nächste Wunder: ihre kleinste Tochter kam anderthalb Jahre später noch hinterher, einfach so. Sie erzählt ihre ganz persönliche Geschichte, ihre Höhen und Tiefen und gibt darüber hinaus wertvolle Tipps und Anregungen für Frauen, die sich in der Kinderwunschzeit befinden. "Von Null auf Drei", Südwest Verlag, 19,99 Euro

 

DIE KINDERWUNSCH-EXPERTIN

"Frauen wissen genau, was ihnen gut tut. Sie vertrauen sich nur nicht. Selbst bei Fehlgeburten oder unerfülltem Kinderwunsch wussten sie immer intuitiv, woran es lag. Frauen müssen lernen, das für sich zu fordern, was sie für sich als richtig erachten." Prof. Dr. Ingrid Gerhard

Mehr zum Thema, was man aus medizinischer Sicht tun kann und tun sollte, lesen Sie in den Büchern von Prof. Dr. Ingrid Gerhard – "Die neue Pflanzenheilkunde für Frauen", Zabert Sandmann - und in dem großen Frauenratgeber von Katrin Reichelt und Dagmar Uhl, "Die 9 großen Frauenmittel der Homöopathie", GU.

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