von Katrin Reichelt
Es gibt ihn nicht: den Brustkrebs. Es gibt nur sie, die Frau, die Brustkrebs hat. Jede der 55.000, die pro Jahr in Deutschland neu erkranken, ist einzigartig. Alter, Auslöser, Stadium, persönliche Wünsche und individuelle Lebensumstände: All das spielt eine Rolle bei den maßgeschneiderten Therapien, die Frauen heute zur Verfügung stehen.
Wie viel sich zum Positiven verändert hat, zeigt sich anhand der Zahlen, die Prof. Dr. Peter Scheidel nennt: "Die Anzahl der Frauen, die heute geheilt werden können, hat sich gegenüber den siebziger Jahren verdoppelt."
FRÜHERKENNUNG BEDEUTET LEBEN
Doch es gibt auch Nachrichten, die noch mehr beunruhigen als es die Diagnose "Brustkrebs" ohnehin schon tut: "Die Anzahl der jungen Frauen, die erkranken, steigt. Nicht dramatisch, aber kontinuierlich." Frauen zwischen 20 und 30 Jahren machen ca. drei bis vier Prozent der Neuerkrankungen pro Jahr aus. Bei den Dreißig- bis Vierzigjährigen sind es bereits etwa 15 bis 20 Prozent. Im Mammazentrum am Hamburger Krankenhaus Jerusalem, in dem Prof. Scheidel einer der leitenden Ärzte ist, hat sich ein besonderes Team gefunden. Interdisziplinäre Medizin (alle hoch qualifizierten Experten nutzen diese und profitieren von der Erfahrung der jeweils anderen Kollegen) vereint sich mit menschlicher Zuwendung: Einer der fünf ist und bleibt zentraler Ansprechpartner durch alle Schritte und Maßnahmen, die auf eine Patientin mit Brustkrebs zukommen. "Das empfinden die Frauen als äußerst angenehm."
Durch die Kombination von Expertise, der Umsetzung neuester Erkenntnisse und beeindruckender Menschlichkeit ist das Zentrum inzwischen zum größten Deutschlands geworden. "In den letzten Jahren", so Prof. Scheidel, "haben sich grundlegende Annahmen und damit auch die Standards einer optimalen Krebstherapie (nach den Kriterien der Deutschen Krebsgesellschaft) verändert.“ Wie? "Früher hat man z. B. bei Brustkrebs alle Lymphknoten der Umgebung auf der betroffenen Seite ausgeräumt. Heute entnimmt man den sogenannten Wächterlymphknoten (an der Schnittstelle zum Lymphsystem aus der Achselgrube). Enthält er Tumorzellen, sollten mehr als zehn weitere Lymphknoten entfernt werden. So gewinnt man eine repräsentative Menge, um die Ausbreitung der Krebszellen zu bestimmen. Es hat sich gezeigt, dass nur in fünf Prozent der Fälle eine komplette Ausräumung erforderlich ist. Dadurch wird der Patientin eine hohe Belastung, sowohl durch die OP als auch durch ihre Folgen, erspart."
AUCH DIE RADIOLOGIE GEHT NEUE WEGE
Während der Wächterlymphknoten von Spezialisten im Labor untersucht wird, kann gegebenenfalls noch während der OP eine erste Bestrahlungsdosis im ausgeräumten "Tumorbett" platziert werden. Zum
einen werden damit womöglich entwischte Krebszellen abgetötet; zum anderen hat die Patientin damit schon 25 Prozent der Strahlentherapie hinter sich.
"Die zweite maßgebliche Veränderung ist, dass man heute zunehmend endokrine Therapien einsetzt – gegenüber der herkömmlichen Chemotherapie. Die Ergebnisse sind gleich gut. In den nächsten fünf bis
zehn Jahren könnten sie die Chemotherapie zurückdrängen."
Die Nachteile der Zellgifte sind nicht nur die massiven Nebenwirkungen, sondern auch, dass sie ebenso viele gesunde wie kranke Zellen zerstören und proportional zur Menge der Behandlungszyklen auch
noch an Durchschlagkraft verlieren. Deshalb geht man heute zunehmend zu zielgerichteten Therapien über.
TARGETED THERAPY BEDEUTET: ZIELGERICHTET
Welche der Antikörper oder Antihormontherapien zum Einsatz kommen, hängt z. B. davon ab, ob der Tumor durch das körpereigene Hormon Östrogen zum Wachstum angeregt wird. Oder aber, ob es im genetischen Profil (bei etwa 15 – 20 Prozent der Frauen) einen ganz bestimmten Faktor gibt, HER2-Gen genannt, der ein solches Wachstum begünstigt. Ein äußerst spannendes Gebiet sind die Pharmako-Genomics, eine völlig neue Disziplin. Ihre Fragestellung ist: Was wirkt bei der einen – und bei der anderen nicht? Weil Menschen genetisch verschieden sind, haben sie auch unterschiedliche Enzymaktivitäten. Manche Frauen können z. B. den Östrogen-Blocker Tamoxifen nicht umwandeln; und er wirkt auch bei 30 Prozent nicht, wenn sie gleichzeitig bestimmte Antidepressiva nehmen. Aber die Zukunft kommt mit Siebenmeilenschritten. "Man wird einen Experten auf diesem Sektor im Team haben, der sagen kann, ob bestimmte Zellgifte bei bestimmten Patientinnen überhaupt wirken. Das wird die Therapien entscheidend verändern." 80 Prozent der Frauen kann man bereits jetzt langfristig heilen. "Aber wir haben noch keine individuelle Vorhersagbarkeit. Will man 85 Prozent erreichen, muss man die ohnehin schon große Anstrengung noch einmal um 100 Prozent verstärken."
Verschiedene Verfahren der Naturheilkunde stellen eine wichtige Ergänzung zur klassischen Krebstherapie dar. 60 bis 70 Prozent der Patientinnen machen bereits von denjenigen Methoden Gebrauch, die sich in einer ganzheitlichen (komplementären) Krebstherapie bewährt haben:
Regelmäßige Vorsorge und damit die frühzeitige Erkennung von Brustkrebs verbessern die Heilungschancen. Dazu gehören:
Infos: www.mammo-programm.de
Der neue Brustkrebs-Ratgeber informiert umfassend über Diagnostik und Therapie der klassischen Schulmedizin, von der Chemotherapie über die Operation bis hin zur Antihormontherapie. Auch die alternativen Therapien werden beleuchtet, welche die gängigen schulmedizinischen Maßnahmen begleiten, wie z. B. Misteltherapie, Homöopathie, aber auch Ernährung und Sport. Im Angesicht der eigenen Verletzlichkeit kommt die Frage nach dem Sinn des Lebens auf. Hier geht es darum, die Krankheit nicht als Strafe zu betrachten, sondern als Ausgangspunkt für eine neue Entwicklung. Dr. Kay Friedrichs, Miriam Wessels und Heike Oellerich beschreiben einen ganzheitlichen Ansatz, der die persönlichen Bedürfnisse berücksichtigt und zur Selbstorientierung in dieser schweren Zeit beiträgt. GU, 16,99 Euro (auch als eBook, 13,99 Euro)
Chemotherapie, Antikörper, Antihormon- oder Stammzelltherapie: Wir sprachen mit Dr. Kay Friedrichs,
leitender Arzt am Mammazentrum im Hamburger Krankenhaus Jerusalem.
Was erhofft man sich von den aktuellen Studien?
Man will den bestmöglichen Standard erreichen mit Medikamenten, die bisher noch nicht verwendet wurden.
Warum brauchen wir neue Strategien?
Die Möglichkeiten der Chemotherapie sind weitgehend am Anschlag. Aber es gibt sehr interessante Studien zu neuen Antikörpern, die man in einem Molekül mit der Chemotherapie verbinden
kann.
Welchen Vorteil hat das?
Die Antikörper erkennen die Tumorzelle an bestimmten Merkmalen und greifen sie gezielt an. Sie sind wie Marschflugkörper, die ihre Bombenlast, also die Chemotherapeutika, gezielt fallen lassen. So
werden weniger gesunde Zellen zerstört.
Wird es irgendwann eine Impfung gegen Krebs geben?
Da gibt es tatsächlich eine spannende Impfstudie: eine unspezifische Immunstimulation, die Tumorzellen nachhaltig schädigen soll. Aber das dauert noch eine Weile.
Worauf können Frauen aktuell zählen?
Die Antikörpertherapien bewähren sich bereits hinsichtlich der Lebensverlängerung, auch bei fortgeschrittenem Brustkrebs. Zwei davon sind bei Frauen wirksam, bei denen der Wachstumsfaktor HER2/neu im
Blut nachgewiesen werden kann. Der Dritte (Bevazizumab) blockiert die Gefäßneubildung und schneidet den Tumor damit von der Blutversorgung ab. So wird er gewissermaßen ausgehungert. In Kombination
mit einem Chemotherapeutikum ist der Antikörper in 45 Prozent der fortgeschrittenen Fälle wirksam.
Was tun Frauen, deren Tumor östrogenabhängig wächst?
Im Moment laufen gerade vielversprechende Studien mit Substanzen zur Förderung der Knochenwiederherstellung und auch zu ihrem vorsorglichen Schutz. Sie werden ja deshalb angegriffen, weil durch
die Antihormontherapie die für den Knochen wichtige Östrogenproduktion blockiert wird. Man unterbindet sie, um dem Tumor keine Wachstumsimpulse zu geben.
Haben die neuen Substanzen ähnliche Nebeneffekte wie die Chemotherapie?
Nein, aber sie haben andere, die nicht so schnell spürbar sind, erst nach längerer Anwendung, wie z. B. Bluthochdruck, Magen-Darm-Probleme oder auch Auswirkungen am Herzmuskel. Man muss Nutzen und
Schaden sehr genau im Hinblick auf die Lebensverlängerung abwägen.
Im Moment sind Brustkrebs-Stammzellen als Auslöser im Gespräch. Wird es ein Medikament gegen sie geben?
Diese Stammzellen sind außerordentlich resistent, Chemo und Strahlen können ihnen nichts anhaben, weil sie sich nur sehr langsam teilen, im Gewebe schlummern und dann nach Jahren wieder auftauchen.
Tests laufen. Wenn man sie tatsächlich ausschalten könnte, wäre das ein Durchbruch. Aber es gibt Tausende von Substanzen, die haben Mäuse geheilt – aber noch keinen einzigen Menschen.
Eine Theorie der Wissenschaft ist, dass sich eine Tumorerkrankung auf der Grundlage verschiedener schädigender Einflüsse entwickelt. Die neuesten Erkenntnisse über Brustkrebs-Stammzellen zeigen, dass diese zunächst gutartigen Zellen entarten und dann oft erst nach Jahren damit beginnen, Tumorherde und Metastasen zu bilden. Belastende Umwelt- und Lebensbedingungen, Traumata oder Infekte könnten sich summieren und den Körper wohlmöglich so sehr aus der Balance bringen, dass er sich schließlich nicht mehr gegen diese hochaggressiven Tumorzellen zur Wehr setzen kann. Auch, wenn man die tatsächlichen Auslöser bis heute nicht kennt, vermag Homöopathie
Daher ist oft eine ergänzende homöopathische Behandlung sinnvoll, weil sie sich mit den möglichen konstitutionellen (d. h. ererbten und erworbenen) Ursachen auseinandersetzt. Sie gehört in jedem
Fall in die Hand eines erfahrenen Experten.
In den USA laufen Erfolg versprechende Studien, in denen drei homöopathische Arzneien – Carcinosinum, Phytolacca und Lac caninum – in ihrer Wirkung mit der von Chemotherapie verglichen werden.
Mit Akupunktur lassen sich möglicherweise die Nebenwirkungen eines weit verbreiteten Medikaments, sogenannter Aromatasehemmer, die zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt wird, lindern. Dies berichten US-amerikanische Forscher online in der medizinischen Fachzeitschrift Cancer. Mehr …
PRESSEMITTEILUNG
Charité startet neues EU-Projekt RESPONSIFY
WEGE ZUR PERSONALISIERTEN BRUSTKREBS-THERAPIE
Berlin, 20.02.2012 Die Therapie von Brustkrebs genauer auf die jeweilige Patientin abzustimmen und so erfolglose Behandlungen zu vermeiden: Dieses Ziel haben sich die Charité - Universitätsmedizin Berlin und elf Partnerinstitutionen aus insgesamt sechs Ländern gesetzt. Sie gaben jetzt den Startschuss für
das EU-Forschungsprojekt RESPONSIFY.
Schlüssel zum Erfolg soll die Entwicklung neuer Biomarker-Tests sein, wie Prof. Carsten Denkert, Leiter des Projekts am Institut für Pathologie der Charité,
erläutert. Biomarker-Tests geben Hinweise darauf, ob und wie eine Behandlung sich bei der jeweiligen Patientin auswirkt. Die Tests sollen bereits vor der operativen Tumor-Entfernung die
Vorhersage erleichtern, welche Therapie bei einer Patientin erfolgversprechend ist.
Durch den Beginn der Behandlung bereits vor der Operation, die sogenannte neoadjuvante Therapie, soll der Tumor schon präoperativ deutlich verkleinert werden. Erst dann entfernen die Ärzte das
restliche Tumorgewebe. Bisher ist der Ablauf bei Brustkrebs in den meisten Fällen noch umgekehrt: Erst nach der Entfernung und Untersuchung des Tumors wählen die Mediziner die Therapie aus. „Die
neoadjuvante Therapie hat den Vorteil, dass das Ansprechen des Tumors auf die Therapie direkt sichtbar wird“, erläutert Denkert: „Daher können wir leichter beurteilen, welche Biomarker zur Steuerung
der Therapie geeignet sind.“
Brustkrebs ist in Deutschland wie in vielen anderen Industrienationen auch die häufigste Krebserkrankung der Frau. Pro Jahr erkranken hierzulande mehr als 55.000 Frauen daran.
Im RESPONSIFY-Projekt werden die Untersuchungen sehr eng mit klinischen Studien der German Breast Group (GBG) verknüpft, so dass die Ergebnisse schneller in die klinische Praxis umgesetzt werden
können. Unter wissenschaftlicher Leitung von Privatdozentin Dr. Sibylle Loibl (GBG) arbeiten neben der Charité unter anderem noch das Stockholmer Karolinska
Institutet, das französische Institut Gustave Roussy und das University College London sowie mehrere kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) aus verschiedenen europäischen Ländern an dem Vorhaben
mit. Die EU-Kommission fördert das auf drei Jahre angelegte Projekt im Zuge des 7. Forschungsrahmenprogramms mit rund sechs Millionen Euro unter dem Titel “RESPONSIFY – Genome-based biomarkers
leading to validated molecular diagnostic tests for response prediction in breast cancer “ (Grant-Agreement-Nummer HEALTH-F5-2012-278659).